Gletscher

Gebirgsgletscher sind sensible Indikatoren des Klimawandels, die besonders auf die Lufttemperatur während der Schmelzsaison und Niederschläge in Form von Schnee reagieren. Die Spuren der Gletscher in der Landschaft als Zeichen früherer Gletschervorstöße und historische Aufzeichnungen und Messungen der Änderungen der Gletscher sind Zeugen von Klimaänderungen in Gebieten und zu Zeiten in denen nur wenige oder keine instrumentelle Messungen des Klimas vorliegen.

 

Die Bedeutung der Gletscher als indirekte Klimaindikatoren erschließt sich am besten durch die bahnbrechenden Arbeiten von Penck und Brückner (1909), die den Transport von Findlingen im Alpenvorland durch Eiszeitgletscher und damit die Existenz von Eiszeiten nachgewiesen haben. Diese Erkenntnis stellte den Beginn der Schwankungsklimatologie, also der Wissenschaft von Klimaänderungen dar. Moderne Methoden des Gletschermonitorings befassen sich nicht nur mit der Erfassung früherer Gletscherstände aus Moränen, sondern auch mit detaillierten Messungen der Massen- und Längenänderungen von Gebirgsgletscher und der Erfassung von Gletscherflächen und –höhen sowie derer Änderungen.

 

Auf der globalen Skala gehen die Gebirgsgletscher seit dem Maximum der Kleinen Eiszeit (Little Ice Age, LIA) zurück (Vaughan et al. 2013). Auf einer lokalen und regionalen Skala reagieren Gletscher auch je nach ihren topographischen Eigenschaften auf einer kleinen zeitlichen und räumlichen Skala individuell (Kuhn et al. 1985).

 

In Tirol, Südtirol und auch den Dolomiten außerhalb Südtirols, also dem betrachteten Untersuchungsgebiet, gibt es aus dem Jahr 1601 erste Aufzeichnungen zu Gletschern (Nicolussi 1990). Systematische und regelmäßige Aufzeichnungen zu Vorstößen und Rückgängen der Gletschern werden für das Gebiet der Österreichisch- Ungarischen Monarchie seit 1891 vom Gletschermessdienst des Österreichischen Alpenvereins sowie ab 1919 auch von den Nachfolgeorganisationen auf italienischem Staatsgebiet durchgeführt. Heute umfassen die Messungen der Längenänderungen etwa 10 % der Gletscher. Zudem werden seit Beginn der 1950er Jahre Massenbilanzmessungen durchgeführt, die heute etwa 1 % der Gletscher im Untersuchungsgebiet umfassen. Gletscherinventare beinhalten Informationen über die Fläche und Oberflächenhöhe aller Gletscher. In den drei Regionen Tirol, Südtirol und den Dolomiten bedecken Gebirgsgletscher 411,57 km² der Gesamtfläche.

 

Für die Interpretation von glaziologischen Daten ist es wichtig zu wissen, wie ein Gletscher funktioniert und wie er auf Klimaänderungen reagiert: Gletscher sind Eiskörper, die sich durch langjährige Akkumulation von gefallenem Schnee bilden (Cuffey und Paterson 2010). Der Schnee aus dem Winter, der eine Dichte von 100-400 kg/m³ hat, schmilzt über den Sommer in großen Höhen, Schattenlagen oder an Orten von Schneeakkumulation durch Wind oder Lawinen nicht vollständig ab. Liegt dieser Schnee mehr als ein Jahr, verdichtet er sich zu Firn (400-830 kg/m³) und nach einigen Jahrzehnten zu Eis (918 kg/m³). Schnee, Eis und Firn fließen unter dem Einfluss der Schwerkraft talwärts.

 

Der Flächenanteil eines Gletschers, auf dem innerhalb eines Haushaltsjahres (Oktober bis September des Folgejahres) Masse dazukommt, nennt man Nähr- oder Akkumulationsgebiet. Im Zehr- oder Ablationsgebiet verliert der Gletscher über das Haushaltsjahr gemittelt an Masse. Die Summe des Massenumsatzes in Nähr- und Zehrgebiet ist die Massenbilanz. Ist die Massenbilanz in einem Jahr negativ, nimmt die Masse des Gletschers ab. Ist die Massenbilanz über mehrere Jahre negativ, nimmt auch seine Länge und Fläche ab. Ist die Massenbilanz positiv, nimmt der Gletscher an Masse zu. In Folge steigt auch die Fließgeschwindigkeit, und der Gletscher stößt vor. Bei einem Vorstoß schiebt der Gletscher Geröll und Felsblöcke vor sich her, das nach einem Rückgang des Eises als Moräne liegen bleibt. Die Positionen dieser Moränen markieren Maximalstände der Gletscher, die durch Radiocarbon- oder Expositionsalteranalysen datiert werden können.

 

 

 

 

 

Literatur:

Cuffey K M, Paterson W (2010): The physics of glaciers, Elsevier.

Kuhn M, Markl G, Kaser G, Nickus U, Obleitner F, Schneider H (1985): Fluctuations of climate and mass balance: different responses of two adjacent glaciers. Zeitschrift für Gletscherkunde und Glazialgeologie 21, 409–416.

Nicolussi K (1990): Bilddokumente zur Geschichte des Vernagtferners im 17. Jahrhundert. Zeitschrift für Gletscherkunde und Glazialgeologie 26 (2): 97-119.

Penck A, Brückner E (1909): Die Alpen im Eiszeitalter. Taunitz, Leipzig.

Vaughan DG, Comiso JC, Allison I, Carrasco J, Kaser G, Kwok R, Mote P, Murray T, Paul F, Ren J, Rignot E, Solomina O, Steffen K, Zhang T (2013): Observations: Cryosphere. In: Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Hrsg. Stocker TF, Qin D, Plattner GK, Tignor M, Allen SK, Boschung J, Nauels A, Xia Y, Bex V, Midgley PM. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA.

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